Freitag, 24. April 2015

Klar wie Kristall

In letzter Zeit häufen sich schon wieder die Diskussionen darüber, was eigentlich besser klingt, Schallplatte oder CD. Die Berliner Zeitung beispielsweise feierte kürzlich das Comeback der Schallplatte. Und im Hifi-Forum schlagen sich die jeweiligen Jünger schon seit Jahren gegenseitig die Köpfe ein.
     Während sich hier auf meinem Plattenspieler eine Ausgabe von Ariolas Super-20-Hit-Sensation von 1984 dreht, die nebenbei bemerkt völlig untersteuert ist, weil es nun mal nicht so einfach ist, zehn Musiktitel von durchschnittlich vier Minuten Länge auf eine Seite zu pressen, die eigentlich nur für 25 Minuten gedacht ist, und darum die Gesamtlautstärke abgesenkt werden muß, damit die Ampitude der Rillenauslenkung geringer ist, mehr Rillen nebeneinanderpassen und somit das Rauschen des Vinyls deutlicher hörbar wird, erinnere ich mich an die guten alten Zeiten der Siebziger und Achtzigerjahre, als Vinyl neben bespielten Kassetten und Radiosendern die einzige Quelle für Musik war. Bereits damals ärgerte ich mich über jedes Knistern und Knacken. Beim Überspielen auf Kassette hatte ich ständig die Hand am Aussteuerungsregler, um die Titel am Ende schnell ausblenden zu können, bevor das Knistern der Leerrillen die Aufnahme versaut. Zusammen mit DJ Eddy legte ich die Hits der Achtziger im Treffpunkt Buchholz und vielen anderen Jugendclubs und Privatveranstaltungen der ostdeutschen Repubik auf. Die Vorsichtsmaßnahmen um zu verhindern, daß sich die Vibrationen der tanzwütigen Gesellschaft auf die Plattenspieler übertrugen, müssen aus heutiger Sicht und angesichts des bekanntermaßen erschütterungs­unempfindlichen MP3-Formats äußerst bizarr anmuten: Zwei furchtbar dicke Schaumstoffunterlagen unter den Spielern und gelegentlich bei gewissen, berüchtigten Musikstücken aus dem kapitalistischen Ausland einen Bodyguard vor der „Brücke“, um die pogenden, herumfliegenden Punks vorsorglich aufzufangen, bevor sie auf dem Tonarm aufschlagen.
     Die Erlösung überkam mich etwa 1988 im An- und Verkaufgeschäft am Rosenthaler Platz, wo ich zu der Zeit in der Technikabteilung arbeitete, als uns ein Kunde einen uralten Siemens-CD-Player verkaufte. Er hatte nur eine einzige CD von der Band Imagination und mangels Devisen keinen weiteren Nachschub an digitalen Tonträgern in Aussicht. Ich erinnere mich noch heute, nach fast dreißig Jahren, genau an diesen kristallklaren, messerscharfen, ultradynamischen, absolut rausch- und knisterfreien Klang, der von dieser alienartig anmutenden, verchromten Zauberscheibe erzeugt wurde. Wer dieses Ereignis nie erleben durfte, wird wohl niemals begreifen, warum Vinyl nichts weiter ist, als ein uralter Dämon aus einer längst vergangenen Welt. So etwa wie ein Faxgerät aus den Siebzigern.
     Es bleibt abschließend nur noch festzustellen, daß die eingangs erwähnte Frage auch eigentlich nicht richtig gestellt ist, denn was besser klingt, CD oder Schallplatte, ist natürlich eine Frage des persönlichen Geschmacks. Der eine mag rot, der andere grün, darüber kann man sich nicht streiten, und selbst dann müßte es eher heißen, welchen Klang man als besser empfindet. Nein, die eigentliche Frage müßte eigentlich korrekt lauten – welcher von beiden Tonträgern klingt gar nicht! Damit ist nicht gemeint, daß sich Tonmeister, Masteringspezialisten und Produzenten auch gern mal technische Schnitzer erlauben, sowohl bei Vinyl als auch CD. Es ging nämlich in der gesamten Geschichte der Musikaufzeichnung, von der Wachswalze bis zur digitalen Computerdatei nie um den Tonträger an sich, sondern ausschließlich darum, die Klänge von der Bühne oder aus dem Studio ins heimische Wohnzimmer zu transportieren. Die ersten Versuche Leonardo da Vincis – Dose auf, Musik rein und Deckel drauf, brachten leider nicht die gewünschten Ergebnisse, sodaß man später andere Verfahren entwickeln mußte. Und von all denen ist die digitale Speicherung nun mal die beste Methode, denn nur sie ist die einzige, bei der die verwendeten Tonträger selbst nicht zu hören sind. Gar nicht. Null. Nix. Denn sie sind nicht digital verschlüsselt, also können sie auch nicht entschlüsselt werden. Und das ist der entscheidende Punkt. Nur die Musik ist zu hören. Und genau die wollen wir doch, oder?

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen