Samstag, 21. April 2012

Sunlion unterwegs – noch viel, viel weiter weg

Blick von heute morgen aus dem Fenster meines Hotelzimmers:


Hier auf Mauritius leben einige der seltensten Arten der Welt. Von dem hier abgebildeten Mauritianischen Schwarzhaubenpiepsling lebten nur noch 15 Stück. Nachdem ich ihn mit meinem Kobalt-60-O-Matik-Nature-NI-X-Blitzgerät fotografiert hatte, gab es leider nur noch 14. Dafür ist er das erste Lebewesen in der Geschichte des Universums, das von sich behaupten darf, daß es das weiße Licht sah, bevor es starb.


Doch eins nach dem anderen. Vom Flughafen zum Hotel sind es etwa 60 Minuten Fahrt mit dem Auto. Der Fahrer stellte sich als Rajesh und mauritianischer Eingeborener vor. Rajesh fährt grundsätzlich auf der linken Spur. Nicht etwa, weil er verrückt ist, sondern weil man das auf Mauritius aufgrund der Vergangenheit als britische Kolonie eben so tut. Trotzdem fährt er, wie ein Verrückter, auch wenn er das selber nicht zugeben würde, denn alle anderen fahren noch viel schlimmer. So etwas wie eine Straßenverkehrsordnung gibt es vermutlich auch hier, denn am Straßenrand stehen ein paar Verkehrsschilder, außer, sie wurden zu Wellblechhütten umfunktioniert. Von denen gibt es hier viele, die ganze Straße an der Küste entlang stehen sie zwischen fertigen bewohnten, halbfertigen bewohnten und fertigen oder halbfertigen unbewohnten, kleinen Betonhäusern, die selten verputzt sind, oft keine Fenster haben, und bei denen nicht sofort ersichtlich ist, daß sie keinen, in diesem Universum bekannten Bauvorschriften genügen. Es handelt sich um Slums, ich denke, anders kann man das nicht nennen. Zwischendurch werden diese immer mal wieder durch kleine, mit funzeligen Glühlampen erhellte Lebensmittel-und-dies-und-das-Geschäfte aufgelockert, vereinzelt sieht man auch Autos. Oder das, was davon übrig ist. Aber ansonsten ist das Ganze für einen Mitteleuropäer recht schockierend und bedrückend, so daß ich mich frage, ob meine Anwesenheit hier eher nützt oder schadet.


Die dort lebenden Menschen stehen abends zusammen an der Straße, Kinder spielen dazwischen oder laufen den Straßenrand entlang, um all das zu erledigen, was sie üblicherweise so erledigen. Und an ihnen vorbei rast nun in halsbrecherischer Geschwindigkeit Rajesh mit einem kreidebleichen, schockierten und bedrückten Mitteleuropäer auf dem Rücksitz, der sich nicht sicher ist, ob es eher nützt oder schadet, wenn er zwischendurch mal ein paar Fragen stellt.
„Gibt es viele Verkehrsunfälle auf Mauritius?“ „Oh ja, dieses Jahr sind schon 144 Menschen ums Leben gekommen“, antwortet Rajesh in bestem Was-guckst-Du-Ranjid-Slang. Und: „Für eine Insel dieser Größe ist das recht viel“, gibt er unumwunden zu. „Und warum?“, frage ich. „Crazy Drivers!“ meint Rajesh und überprüft nochmal sicherheitshalber, ob sein Gaspedal auch wirklich ordentlich bis zum Anschlag durchgedrückt und dort verriegelt ist, als ein klappriger alter Bus in sein Blickfeld wankt.
Auch scheint es in den Verkehrsregeln einen wichtigen Paragraphen zu geben, der besagt, je schlechter ein Fahrzeug zu sehen ist, desto weniger Licht darf es benutzen. Viele dunkle Autos oder schwarz gekleidete Motorradfahrer mit dunkler Hautfarbe (die Einwohner von Mauritius haben viel Ähnlichkeit mit Indern, nur mit viel dunklerer, fast schwarzer Haut. Und wie ich an meinem nun doch langsam versagenden Sunblocker feststellen muß, ist das auch dringend notwendig.) benutzen oftmals kein Licht, so daß man sie erst im letzten Moment erkennt. Abschließend vor dem Hotel gab mir Rajesh noch seine Karte, für den Fall, daß ich ein Taxi brauche. Ich kann ja mal im Internet recherchieren, ob es mehr tote Fußgänger oder Autofahrer auf Mauritius gibt und mich dann entscheiden.


Das Hotel selbst ist wirklich hübsch, im maurischen Stil errichtet, sehr sauber, große Zimmer mit Komplettanschluß an die moderne Welt. Auch die einheimischen Mitarbeiter sind auffallend höflich und zuvorkommend und sofort zur Stelle, wenn es etwas zu erledigen gibt. Leider gilt das auch für den Rettungsschwimmer, der zweimal mit seinem schicken Motorboot herangebraust kam, um mich mit meinem Kajak zum Umkehren zu bewegen, ich sei außerhalb der Reichweite seines Fernglases. Ich versuchte ihm klarzumachen, daß ich ein guter Schwimmer sei, eine Rettungsweste anhabe, mit der ich unmöglich untergehen könne, was bei dem hohen Salzgehalt des Wassers auch so schon schwierig ist, weil sich dadurch der Auftrieb erhöht, weswegen Taucher auch immer Bleigürtel umbinden. Und ich wies ihn auf den unterschriebenen Vertrag hin, in dem ich bestätigen mußte, daß alle Risiken zu meinen Lasten gehen und er und seine Sportschule für keinerlei Schäden haftbar zu machen sind.
Nach zwei Minuten hatte er mein erbärmliches Englisch satt und ließ mich weiterpaddeln.


Lediglich mit dem Essen bin ich bis jetzt nicht zufrieden. All Inclusive bedeutet hier nicht etwa, daß alles inklusive ist, nein-nein, es bedeutet nur, daß Softdrinks, Frühstück, Abendessen und lokale Biersorten gratis sind. Die Kekse in der Hausbar kosten schon wieder extra und vernünftiges Mittagessen gibt es nicht. Es gibt nur ein paar, nennen wir es mal „Kleinigkeiten“, aber nichts in der Art, wie man es aus Deutschland kennt, also Kartoffeln, Fleisch, Gemüse und Soße. Ich bestellte ein Steak mit „baked potatoes“. Es gab ein zähes Stück Fleisch, medium, statt wie gewünscht, richtig durch, ein stumpfes Messer, fünf Kartoffelecken, die zusammen nicht mal eine kleine Kartoffel ergeben, sowie die übliche Salatbeilage. Soweit ähnelte das Essen dann doch wieder deutschen Gepflogenheiten. Der Spaß kostete, sage und schreibe, 20 Euro! Aber nicht für mich, schließlich habe ich ja All Inclusive. Ich zahlte 10 Euro. Für ein nahezu ungenießbarer Steak!
Schauen wir mal, wie sich das heute entwickelt. Ist ja schon wieder Zeit für das Abendbrot.


Abends gibt es in jedem Urlaubshotel die obligatorische Abendunterhaltung, so auch hier. Der Musiker heißt Benjamin, spielt Klavier, und zwar ebenso klassisch wie auch populär und ist zudem noch ein echt cooler Typ.


Noch cooler aber wird es, wenn man ihm beim Spielen zuschaut. Seine Fingerbewegungen stimmen nämlich manchmal nicht mit der Musik überein. Der Grund hierfür ist simpel: Einige der Tasten sind defekt.



Somit bleibt ihm nichts anderes übrig, als das Keyboard die vor vielen Jahren einprogrammierten Musikstücke abspielen zu lassen und dazu die Finger zu bewegen.
Der Witz an der Sache ist – niemandem fällt es auf, alle haben ihren Spaß, einschließlich Benjamin, und ich verrate es niemandem weiter.


Falls also jemand ein funktionierendes Keyboard besitzt, es nicht mehr benötigt und es gern nach Mauritius schicken möchte, gebe ich gern die Kontaktadresse weiter. Schickt einfach eine Mail an mich: sunny.burnett (ät) live.de.


Vor ziemlich genau zehn Jahren war ich auf den Malediven, dort war es herrlich. Weißer Sandstrand, Kokospalmen, metallicblaues Wasser – alles perfekt. Nur wird es nach spätestens einer Woche so langweilig, daß man anfängt, die Stunden zu zählen, die einem noch bleiben, bis man wieder nach Hause darf. Die Inseln dort sind einfach zu klein, um genug Abwechslung zu bieten, in knapp 15 Minuten hat man sie zu Fuß einmal umrundet. Deswegen hatte ich mich damals entschieden, die nächste große Reise woanders hin anzutreten. Nun bin ich also auf Mauritius, eine Insel, auf der man verschiedene Dinge unternehmen könnte und bekomme meinen Hintern nicht hoch. Ich kann mich einfach nicht entschließen, aber zum größten Teil liegt das auch an den Leuten, welche die Erkundungsmöglichkeiten anbieten. Der örtliche Erlebnisveranstalter hat derartig gepfefferte Preise, daß mein Portemonnaie sich gleich winselnd in den Hotelsafe zurückgezogen hat. Am Strand sprach mich heute ein aus Indien stammender Taxifahrer an und versprach, mich überall hinzubringen, für nur 50 Euro am Tag. Ob das nun günstig ist oder nicht, kann ich ohne Vergleich noch nicht beurteilen, aber nachdem er mir zweimal alle Sehenswürdigkeiten aufgezählt, seine Familie vorgestellt und seine Freunde in aller Welt erwähnt hat, gelang es mir nach einer Stunde endlich, mich zu verabschieden und beim Hotelarzt meine blutenden Ohren notbehandeln zu lassen. Somit werde ich meine Entscheidung, die Insel eingehender zu untersuchen wohl davon abhängig machen, wie sehr mich in den verbleibenden vier Tagen die Langeweile quält. Deswegen könnte es sein, daß sich auch weitere Impressionen auf das Strandleben beschränken.




Heute wollte ich hier eigentlich ein wenig die Sau rauslassen. Nachdem ich mich heute früh spontan dazu entschlossen hatte, mich von einem Taxi auf der Insel herumkutschieren zu lassen, war ich am Ende des Tages eher müde und enttäuscht, statt hellwach und begeistert. Aber nach längerem Nachdenken und auch, weil ein guter Freund mal sagte, ich solle bei dem, was ich rede, das Negative einfach weglassen, denn der Rest sei ja ganz interessant, habe ich mich entschlossen, die Meckerei sein zu lassen und nur ein paar Fotos zu zeigen. Ich finde nur halt, bei der Beschreibung der örtlichen Sehenswürdigkeiten wurden in den Hochglanzkatalogen vom Marketing etwas zu oft die Wörter „spektakulär“ und „überwältigend“ benutzt, wofür die Sehenswürdigkeiten aber nichts können. Und das Mauritius auch nicht ganz meinen romantischen Vorstellungen einer tropischen Insel entspricht, dafür kann nun wiederum die Insel nichts. Tatsache ist aber, daß Mauritius die Einnahmen aus dem Zuckerexport immer mehr einbrechen und der Tourismus damit zunehmend wichtiger wird. Also beschränke ich mich auf das Zeigen von einigen Fotos.
Im Black-River-Nationalpark versuchte ich, einige interessante Vögel zu fotografieren. Leider erwies sich das als schwierig, denn man hört sie zwar um sich herum, aber man sieht sie nicht. Und falls doch, sind sie schneller wieder verschwunden, als man die Kamera hochreißen kann. Aber immerhin gelang mir ein Foto des extrem seltenen Mauritianischen Stubentigers:


Wild umherlaufende Hunde gibt es hingegen sehr viele, hier kann man auch sehen, warum:


Die Maßnahmen, welche die Regierung nun gegen diese ausufernde Plage beschlossen hat, würde man hierzulande wohl als „unpopulär“ bezeichnen.
Und so sehen auf Mauritius Baustellenampeln aus. Wenn der Gegenverkehr an der Reihe ist, wird das Schild einfach per Hand umgedreht.


Auch Reifenplatzer können hier im öffentlichen Nahverkehr vorkommen. Das verschafft den Fahrgästen Zeit für angeregte Unterhaltungen:


Alle größeren Weltreligionen sind hier zahlreich vertreten und leben in friedlicher Eintracht miteinander. Besonders farbenfroh und mit unzähligen Figuren präsentiert sich dieser Hindutempel:


Und hier noch ein Detailfoto des für seine Regenbodenfarben berühmten Wasserfalls. Gibt man sich beim Hingucken ganz viel Mühe, kann man die Farben sogar erkennen:


Chamarel – die siebenfarbigen Erden. Nachgezählt habe ich nicht, aber es sieht immerhin schon etwas bunter aus, als beim Wasserfall:


Ansonsten kann ich diesen Beitrag damit wohl beenden, viel passiert hier nicht mehr. Morgen werde ich den ganzen Tag am Strand herumlungern, genau wie heute, und meinen Sonnenbrand ein wenig pflegen. Soll ja zu Hause schließlich jeder sehen, daß ich weit, weit weg und noch viel, viel weiter weg war. Freitag geht's zurück nach Berlin, angeblich bessert sich das Wetter dort auch mittlerweile. Wie komisch das klingt – dort in Berlin!
Also hiermit noch einen letzten Gruß an die in meiner Statistik aufgeführten drei Leser meines Blogs, vom anderen Ende der Welt.

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