Montag, 6. Dezember 2021

Die blonde Stimme ist verstummt

Mitte der Achtziger schlenderte ich gelangweilt durch ein Schallplattengeschäft in Ost-Berlin. Das Angebot war bekanntlich nicht sonderlich attraktiv, überwiegend Musiker aus der DDR, vielleicht noch die eine oder andere Single von westlichen Bands, die in Lizenzproduktion hergestellt wurden. LPs von ausländischen Bands waren nur unterm Ladentisch zu bekommen, und das auch nur, wenn man Beziehungen hatte. Die hatte ich damals noch nicht, also musste ich mit dem Rest vorlieb nehmen.
Beim Stöbern entdeckte ich plötzlich ein Live-Album der ungarischen Band Omega, die ich bis dahin noch nicht gekannt hatte. Die Hülle enthielt zwei Schallplatten und hob sich schon durch das kreative Design, die Druckqualität und das glänzende Cover vom traurigen Rest im Laden ab. Ohne auch nur einmal reinzuhören, kaufte ich das Album, was jedem Werbeskeptiker verdeutlichen sollte, wie wichtig eine attraktive Produktverpackung ist.
     Es war ein Glücksgriff! Die Musik aus den Sechzigern und Siebzigern war ungewöhnlich kreativ und konnte mit westlichen Bands der Zeit locker mithalten. Die ungarischen Texte sind für westliche Ohren zwar ungewöhnlich, aber nach kurzer Gewöhnungszeit macht die Musik richtig Spaß, zumal Ungarisch eine sehr wohlklingende Sprache ist. Das Album gilt unter Audiofans übrigens als eine der besten Live-Aufnahmen der damaligen Zeit. Nachdem es mir gelang, mangels vernünftigem Equipment zwei Monoplattenspieler durch trickreiches Zusammenstöpseln auf Stereo umzupolen, stand ich plötzlich mitten drin im Stadion, umringt von tobenden Fans. Die erste Stereo-Erfahrung im Leben vergisst man nie.
     Später, Mitte der Neunziger, entdeckte ich das Album in Form zweier CDs in einem Kaufhaus und entschied mich, es erst nach meinem Urlaub zu erwerben. Blöde Idee! Ich habe die CDs nie wieder gesehen, und auch bei Ebay sind sie nicht zu kriegen, denn wer sie ergattern konnte, gibt sie nicht wieder her.
     Heute nun habe ich erfahren, dass der blonde Sänger Janos Kobor am Montag verstorben ist. Zwei weitere Bandmitglieder sind vor einigen Monaten bereits von uns gegangen.
     Zum Gedenken empfehle ich den Superhit „Ejfeli koncert“, natürlich in der Liveversion mit Orchester und unbedingt laut! Die deutsche Übersetzung erlaubt uns einen Einblick in den Backstagebereich einer großen, auch international erfolgreichen Rockband, deren Ende mit dem Ableben des charismatischen Sängers nun leider besiegelt sein dürfte:


Mitternachtskonzert

Herzerschütternder Sonnenuntergang hinter dem Kessel,
wo vor dem Konzert uns zehntausend erwarten.
Weiter hinten bei den Kulissen
schüttelt ein älterer Mann seinen Kopf und schenkt sich noch mal ein.

Zehntausend Herzen trommeln gemeinsam,
die Töne explodieren.
In der aufleuchtenden Nacht scheint es,
als ob zehntausend Stühle sich zueinander neigten.

Der Nebelzauber ist aus, nur eins bewegt uns.
Runter von der Bühne, wieder auf die Erde.
Der zeitungsbleiche Mond scheint,
alles ist ausgestorben. Der Abend ist für immer vergangen.

Es leben so viele Menschen auf der Erde,
so müde wie ich ist keiner.
Ich schau auf ein zerknittertes Foto von uns,
es liegt auf der Erde. Der Wind hebt es dann sanft empor.


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